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Beitrag vom 27.01.2012
Nein heißt Nein. Zur Situation in Deutschland zehn Jahre nach Verabschiedung des Gewaltschutzgesetzes
Britta Meyer
Am 1. Januar 2002 trat das "Gesetz zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Ãœberlassung der Ehewohnung bei Trennung"...
... kürzer und einfacher meist das "Gewaltschutzgesetz" (GewSchG) genannt, in Kraft.
Ein guter Anlass, Bilanz zu ziehen und sich zu erinnern. Die Rednerinnen des Fachgesprächs der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen fragten am 25. Januar 2012 in Berlin danach, was sich damals konkret geändert hat und woran es in der Umsetzung zehn Jahre später noch mangelt.
Das Gesetz
Bis 2002 musste eine misshandelte Frau, wollte sie der Willkür des zumeist männlichen Täters nicht länger ausgesetzt sein, ihr Heim verlassen – oft gemeinsam mit Kindern und ohne Aussicht auf eine sichere Bleibe. Zwar war nach §1361b Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in Fällen "schwerer Härte" die Räumung der Wohnung durch den Täter vorgesehen, dies wurde jedoch in der Praxis so gut wie nie umgesetzt. Nach dem Gewaltschutzgesetz kann, sofern "die verletzte Person zum Zeitpunkt einer Tat (...) mit dem Täter einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt geführt hat, von diesem verlangen, ihr die gemeinsam genutzte Wohnung zur alleinigen Benutzung zu überlassen.". Nicht das Opfer, sondern der Täter muss also gehen.
Die Kritik
Das Gesetz wurde damals bereits scharf kritisiert: es schüre Hass auf Männer als vorgeblich einzige Tätergruppe. Zudem sei es unausweichlich, dass Frauen die Regelung massenhaft missbrauchen würden, um Männer mit falschen Anschuldigungen ihrer Wohnung zu berauben, hieß es aus konservativen Kreisen des Bundestags. Und wohin dann mit ihnen? Besorgte PolitikerInnen sahen bereits die Einrichtung von Männerhäusern voraus. Seit der neuen Regelung, so Katja Grieger vom Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff), ist die Zahl der Anzeigen wegen häuslicher Gewalt tatsächlich stark angestiegen, eine Entwicklung, die dazu beiträgt, das berüchtigte Dunkelfeld in diesem Bereich zumindest etwas aufzuhellen. Von gehäuften Falschanschuldigungen kann jedoch keine Rede sein.
Die taz-Redakteurin Simone Schmollack sprach hierzu auch die so genannten Männerrechtsbewegungen an, die in den vergangenen Jahren zunehmend die Foren und Kommentarfunktionen diverser Onlineportale und –zeitungen dominieren. AnhängerInnen behaupten dort, gestützt von angeblichen repräsentativen Erhebungen, Männer seien mindestens ebenso häufig das Opfer von Gewalt durch Frauen, wie umgekehrt, die meisten Anschuldigungen von sexualisierter Gewalt seien vorsätzlich erlogen und Männer seien ganz allgemein die chancenlosen Opfer einer mächtigen feministischen Verschwörung. Wirft mensch allein in Deutschland einen Blick in die Statistiken, bröckelt die Mär der allmächtigen Misandrie schnell in sich zusammen.
So berichtet das BMFSFJ in seinem Genderreport von 2005, zur so genannten "Gendersymmetrie" der Gewalt in heterosexuellen Paarbeziehungen, dass Männer zwar zu einem ähnlich hohen Anteil wie Frauen von körperlichen Übergriffen betroffen zu sein scheinen, diese bestehen jedoch überwiegend in Schubsen, Ohrfeigen, Tritten und Beißen oder Kratzen. Kein einziger Befragter der Pilotstudie gab an, von der Partnerin zusammengeschlagen worden zu sein, eine Erfahrung, die 21 Prozent der von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen hatten machen müssen.
Die Quote der Falschanschuldigungen bei Vergewaltigung liegt in Deutschland bei 3 Prozent, im gesamteuropäischen Vergleich bewegt sie sich zwischen 1 und 9 Prozent. Der hartnäckige Mythos von den massenhaft erlogenen Beschuldigungen gehört zu den von Esther Lehnert von LARA, dem Krisen- und Beratungszentrum für vergewaltigte und sexuell belästigte Frauen, in diesem Zusammenhang besprochenen, immer noch gesellschaftlich fest verankerten Vergewaltigungsmythen, die es Opfern sexualisierter Gewalt nach wie vor schwer machen, über das Erlebte zu sprechen, geschweige denn, es zur Anzeige zu bringen oder eine Verurteilung zu erwirken.
Was sind die dringendsten Mängel?
das involvierte Fachpersonal, von StreifenbeamtInnen bis hin zu RichterInnen sind in Bezug auf häusliche und sexualisierte Gewalt nur sehr unzureichend informiert, umfangreiche Fortbildungen müssen hier zum festen Teil des beruflichen Werdegangs werden
Migrantinnen werden durch das Gesetz nicht ausreichend geschützt. Gerade wenn eine Sprachbarriere besteht, haben sie oftmals weder adäquaten Zugang zu Informationen, noch können sie ihre Rechte wirkungsvoll geltend machen. Es fehlt an finanziellen Mitteln für DolmetscherInnen und entsprechenden Fortbildungen des Polizei- und Gerichtspersonals
viele traumatisierte OpferzeugInnen sind psychisch und physisch kaum in der Lage, die Strapazen eines langwierigen Prozesses durchzustehen. Ein allgemeiner Rechtsanspruch auf psychosoziale Betreuung während des Verfahrens ist darum dringend nötig
Denn, wie die Kriminalkommissarin Heike Lütkert es zusammenfasste: der gefährlichste Ort, an dem Frauen sich – statistisch betrachtet – in Deutschland aufhalten können, ist nicht die dunkle Gasse bei Nacht, sondern die eigene Wohnung.
Weitere Informationen finden Sie unter:
Genderreport des BMFSFJ (2005)
Polizei Bielefeld: Tötungsdelikte an Frauen in (Ex-) Intimbeziehungen
Nicola Brosi: Untersuchung zur Akzeptanz von Vergewaltigungsmythen in verschiedenen Bevölkerungsgruppen (2004)
Statistika: Frauenanteil in Führungspositionen nach Unternehmensgröße im Jahr 2011
Die antifeministische Männerrechtsbewegung Denkweisen, Netzwerke und Online-Mobilisierung - Eine Expertise für die Heinrich-Böll-Stiftung von Hinrich Rosenbrock
Streitsache Sexualdelikte: Zahlen und Fakten
Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe
Lesen Sie hierzu auch die Studie des EU-Projektes "Daphne":
"Different systems, similar outcomes? Tracking attrition in reported rape cases in eleven countries"
und den Bericht des BMFSFJ: "Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland"
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
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TERRE DES FEMMES fürchtet fatale Signalwirkung durch Urteil im Kachelmann-Prozess
Kongress Streitsache Sexualdelikte - Frauen in der Gerechtigkeitslücke
Start der Berlinweiten Kampagne gegen häusliche Gewalt am 25. August 2010
(Quellen: BMFSFJ, Statistika, Heinrich Böll Stiftung, Seith, Lovett und Kelly (2009))